Offener Brief von Prof. Dr. Patzelt
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Offener Brief von Prof. Dr. Patzelt
Vor einiger Zeit wurden wir auf die Internetplattform POT81 aufmerksam, die verschiedene Forderungen enthält, welche die Lehre an unserem Dresdner Institut für Politikwissenschaft betreffen. Es ist ganz in Ordnung, dass Kritik geübt wird. Weniger in Ordnung ist, dass uns solche Kritik nicht auch mitgeteilt wird, sondern irgendwo in den Weiten des Internet verschwindet. Dabei ist unser Institut sehr daran interessiert, Probleme in seinen Studiengängen oder einzelnen Lehrangeboten abzustellen.
Weil wir es schätzen, mit Studierenden über derlei ins Gespräch zu kommen, haben wir auch gleich versucht, Gesprächspartner zu finden, um über die in POT81 vorgetragene Kritik zu sprechen – und zwar idealerweise mit deren Verfassern. Das Ergebnis: Uns wurde mitgeteilt, man könne sie nicht ausfindig machen. Schade. Also haben wir ein Treffen zwischen Lehrenden und zwei Vertretern des Fachschaftsrats Philosophie organisiert. Die Substanz der Forderungen aus POT81 ließ sich dabei zwar nicht klären: doch es wurde verabredet, in der nächsten Zeit gemeinsam an der Verbesserung der Lehre zu arbeiten. Die Studierenden können dazu am besten beitragen, wenn sie ihre Einschätzungen, Wünsche und Vorschläge hinsichtlich der Lehre am Institut für Politikwissenschaft unter der Emailadresse kritik_powi@yahoo.de kundtun. Sobald sich dabei ein halbwegs klares Bild abzeichnet, möchten wir hierzu einen weiteren „Institutsratschlag“ abhalten, also eine Vollversammlung aller Studierenden und Lehrenden unseres Instituts.
Damit auch seitens der Lehrenden diese Diskussion vorbereitet wird, haben die Dozenten am Lehrstuhl für Politische Systeme und Systemvergleich beschlossen, jetzt schon zu den folgenden auf POT81 geäußerten Kritikpunkten Stellung nehmen:
(1) „Wissenschaftliches Arbeiten wird unbefriedigend gelehrt.“
Die Leistungsnachweise bzw. Modulprüfungen sämtlicher Einführungskurse am Institut dienen der systematischen Vermittlung relevanter Fähigkeiten des wissenschaftlichen Arbeitens. Diese bauen folgendermaßen aufeinander auf:
Im – meist ersten – Einführungskurs / Basismodul ‚Politische Systeme‘ üben die Studierenden Methoden speziell politikwissenschaftlicher Recherche (Anfertigen einer Bibliografie unter Nutzung spezifisch politikwissenschaftlicher Hilfsmittel); den Umgang mit politikanalytischen Kategorien (Referat und Einleitungskapitel); sprachlich anspruchsvolles schriftliches Argumentieren (Essay). Im – typischerweise zweiten – Einführungskurs / Basismodul ‚Internationale Beziehungen‘ kommen dann systematische Textanalyse sowie die Erarbeitung von Thesenpapieren hinzu. Im dritten Einführungskurs / Basismodul ‚Politische Theorie’ wird – aufbauend auf den bisher vermittelten Fähigkeiten – dann die Umsetzung analysierter Texte in grafisch-systematische Darstellungen (‚Tafelbilder‘) verlangt sowie eine voll auszuarbeitende Seminararbeit geschrieben.
Offensichtlich steigt der Schwierigkeitsgrad der Leistungsanforderungen bzw. Trainingseinheiten schrittweise an und bauen die jeweils nachzuweisenden Kompetenzen aufeinander auf. Zur möglichst ausgedehnten und praktischen Vermittlung dieser Fähigkeiten greifen alle Lehrstühle auf ein Team studentischer Tutoren zurück, das seinerseits mit den Professoren und Mitarbeitern eng zusammenarbeitet. Leider ist aber die Teilnehmerzahl der – wöchentlich mehrfach angebotenen – Tutorien durchaus geringer als die Zahl der Proseminarteilnehmer. Das heißt: Das Lehr- und Bildungsangebot im Bereich der Techniken wissenschaftlichen Arbeitens wird tatsächlich nicht vollständig genutzt.
Sofern das Verlangen nach mehr ‚wissenschaftlichem Arbeiten‘ die Forderung einschließt, besser in die Wissenschaft als solche und in das konkrete Forschen eingeführt zu werden, ist das löblich. Dieser Wunsch lässt sich aber leicht durch die Mitarbeit im – für BA-Studierende der Politikwissenschaft ohnehin obligatorischen – ‚Methodenmodul‘ erfüllen, das auch seinerseits ein begleitendes Tutorium speziell für Studierende der Politikwissenschaft umfasst. Weil der erste und grundlegende Teil dieses Methodenmoduls, nämlich die Einführung in Forschungslogik und Wissenschaftstheorie, ohnehin von einem Politikwissenschaftler gelehrt wird, kann hier sogar besonders tief bereits im ersten Semester nicht nur der äußeren Form, sondern auch der Substanz nach in wissenschaftliche Arbeitsweisen eingedrungen werden.
(2) „Die Vorlesung ‚politische Systeme‘ bietet nicht genügend Platz für alle Interessierten."
Die Vorlesung findet im wirklich großen Hörsaal 2 des HSZ statt, und in jeder Vorlesungsdoppelstunde bleiben dort Plätze frei.
(3) „Die Vorlesung ist zu einer reinen Referate-Veranstaltung geworden.“
In der Vorlesung werden gar keine Referate gehalten! Und gefordert wird doch nicht sein, dass der Dozent überhaupt nichts vortragen, sondern eine freilaufende Diskussion veranstalten soll.
Im Proseminar aber werden tatsächlich Referate gehalten: Der Dozent führt in den Stoff der Sitzung ein; dann folgt ein 15minütiges Referat und ein rund 7minütiger Diskutantenbeitrag; im Anschluss daran haben die Teilnehmer Gelegenheit zur Diskussion. Referate und sich selbst organisierende Seminardiskussionen sind für gelingende sozialwissenschaftliche Bildung unverzichtbar, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil die zu erwerbende Fähigkeit mündlicher Darstellung komplexer Sachverhalte intensiver Übung bedarf. Im Übrigen laufen schon seit den Reformen Humboldts an deutschen Universitäten die Seminare auf eben solche Weise ab. Wer immer Ideen hat, wie sich Seminare darüber hinaus verbessern ließen, möge sie den Dozenten unseres Instituts mitteilen – am besten über die oben genannte Email-Adresse. (4) „Die Einführungsveranstaltung in die Politikwissenschaft von Prof. Patzelt muss aufgestockt werden; die vorhandenen Kapazitäten der Veranstaltung sind bereits gesprengt."
Gerne hätten wir für das Basismodul ‚Systeme‘ einige Dozenten mehr, was sich bei den anderen Basismodulen nicht anders verhält. Doch die Universitätsleitung gibt einesteils – durchaus überhöhte – Immatrikulationszahlen vor, andernteils aber nicht mehr Stellen oder Lehrauftragsmittel ans Institut. Sollten sich auf diesbezügliche Verbesserungen abzielende studentische Initiativen an die Universitätsleitung wenden, wird das Institut für Politikwissenschaft derlei gewiss unterstützen.
Dennoch findet bereits jetzt jeder Studierende sowohl in den Vorlesungen der Basismodule als auch in mindestens einem Proseminar Platz. Im aktuellen Semester zeigte sich sogar, dass zu zwei Proseminarleitern des Basismoduls ‚Politische Systeme‘ anfangs nicht einmal so viele Studierende kamen, dass sich alle Referate vergeben ließen. Wem also eines der Proseminare überfüllt vorkommt, kann jederzeit in ein nicht überfülltes wechseln, zumal für alle BA-Studierenden der Politikwissenschaft curricular sichergestellt ist, dass – bei Studium gemäß vorgeschlagenem Studienablaufplan – sich keinerlei Pflichtlehrveranstaltung im Kern- und (!) Ergänzungsbereich des BA-Studiengangs Politikwissenschaft mit einem dieser Proseminare überschneidet. Im Übrigen setzen wir hier auch deshalb auf Selbstregulierung, weil wir die Wahlfreiheit der Studierenden hinsichtlich ihres erstrangig gewünschten Proseminarleiters nicht einschränken wollen... (5) „Die Statistikvorlesung ist zu anspruchsvoll.“
Hier bräuchte es schon einige nähere Informationen, was denn genau zu anspruchsvoll wäre. Unsererseits sehen wir aber, dass jene Tutorien, in denen gerade auch der statistische Vorlesungsstoff vertieft wird, nur sehr spärlich genutzt werden. Ist es denkbar, dass die Statistik nicht ‚zu anspruchsvoll‘, sondern einfach ‚zu unbeliebt‘ ist, als dass man sich beim Erwerb statistischer Bildung anstrengen würde? Wer sich aber nicht anstrengt, der muss sich dann auch nicht wundern, wenn ihn überfordert,dass er anwenden soll, was er eben nicht (gründlich genug) gelernt hat. Und was ist mit denen, welchen Statistik nun einmal schwerfällt? – Gegenfrage: Was ist mit Sportstudenten, denen das Geräteturnen schwerfällt, oder mit Musikstudenten, die nicht gerne auf ihrem Instrument üben? – … – Eben!
Womöglich meint dieser Kritikpunkt also: „Wir meinen, dass wir gar keine statistische Bildung brauchen!“ Das denken wir Dozenten aber gerade nicht. Vielmehr wissen wir, dass ohne Statistikkenntnisse sich bloßes Behaupten von Fakten und Zusammenhängen nicht von seriöser Forschung unterscheiden lässt. Wir aber erheben nun einmal den Anspruch, dass das Studium an unserem Institut nicht in erster Linie zum prunkenden Politisieren befähigen soll, sondern zur seriösen wissenschaftlichen Überprüfung politischer Tatsachen- und Zusammenhangsbehauptungen. Dafür aber ist eine intensive forschungslogische, methodenkundige und statistische Bildung unverzichtbar. Tatsächlich sind wir stolz darauf, dass wir unseren Studierenden eine vollständige, gerade nicht um die Fähigkeit zur Datenanalyse verstümmelte Methodenausbildung anbieten können. (6) „Für folgende Module / Leistungsnachweise wird dieselbe Zahl an Credits / Leistungspunkten vergeben, obwohl mit ihnen doch recht unterschiedlicher Arbeitsaufwand einhergeht: Latein, Internationale Beziehungen, Politische Theorie.“
Was genau wird hier kritisiert? Sind die Anforderungen für Latein zu hoch? Sind im Vergleich mit Latein die Anforderungen in „Internationalen Beziehungen“ oder in „Politischer Theorie“ zu hoch? Bezieht sich die – unklare – Kritik bei diesen Teilfächern der Politikwissenschaft nur auf die Einführungskurse / Basismodule oder auch auf die anderen (welche anderen?) Lehrangebote? (7) „Die Anzahl der zu erbringenden Prüfungsleistungen ist zu hoch, die Nachhaltigkeit des Erlernten ist gefährdet (‚Bulimie-Lernen‘).“
Wir denken weniger an Prüfungsleistungen als vielmehr an ‚Trainingsleistungen‘. Diese Trainingsleistungen sind so ausgestaltet, dass sie die zur politikwissenschaftlichen Bildung gehörenden Kompetenzen anzueignen und einzuüben erlauben. Es ist nicht davon auszugehen, dass jedem Studierenden jede Trainingsleistung gleich leicht fällt; und ebenso wenig ist davon auszugehen, dass jedem Studierenden die Politikwissenschaft ebenso leicht fällt wie ein anderes Fach. Also wird es schon so sein, dass sich mancher überfordert fühlt, ja mancher auch tatsächlich überfordert ist. Doch der Maßstab akademischer Bildung in einer wissenschaftlichen Disziplin ist nun einmal nicht, dass man seinen Leistungsgrenzen fernbleiben kann. Vielmehr geht es einesteils – seit Humboldt! – um ‚Persönlichkeitsbildung durch Wissenschaft‘, wozu es aber keinen anderen Weg gibt als den, sich anzustrengen. Und andernteils bemessen sich Trainingsleistungen nach dem, was von einem gut ausgebildeten Maschinenbauer, Elektroingenieur, Mediziner, Architekten, Juristen oder eben Politikwissenschaftler am Ende seines Studiums erwartet werden darf. Diesbezüglich lehrt ein jeder Blick ins Curriculum der politikwissenschaftlichen Studiengänge, welche Dinge – wenn sie denn überhaupt vermittelt oder angeeignet werden sollen – in welcher Lehrveranstaltung bzw. welchem Modul zu behandeln und – mit Leistungsbeurteilung – einzuüben sind.
Also müssen natürlich für Klausuren vielerlei Sachverhalte, Zusammenhänge und Erklärungen idealerweise verstanden, im weniger idealen Fall einfach gelernt werden. Solches Wissen ist einfach unabdingbar, wenn in der Abfolge der Basismodule wirklich die Grundlagen des Fachs beherrscht und schrittweise vernetzt werden sollen. Ohne ein solches Fundament wird aber eine spätere –nicht nur erwünschte, sondern sogar auferlegte – Spezialisierung ein ziemlich luftiges und wenig fundiertes Unterfangen werden. Das wirklich Gute an unserem Studiengang besteht eben in der Verbindung einer breiten Grundlegung politikwissenschaftlicher Bildung mit anschließender – und durchaus auch praxisnaher – Spezialisierung. Beispiele für letztere sind die ‚Projektarbeit mit Forschungsdesign‘ (POL-GM-THEO), ‚politikberatende Strategiepapiere‘ zu ganz unterschiedlichen Themen (POL-GM-IB) oder die Teilnahme – samt Reflexion in einem ‚Erfahrungsbericht‘ – an einem praxisnahen Planspiel (POL-GM-SYS).
Vermutlich lässt sich auch die in unseren Studiengängen unternommene Verbindung von wirklich wissenschaftlicher Bildung mit breiten Kenntnissen der politikwissenschaftlichen Teilsdisziplinen und spezialisierter sowie praxisnaher Ausbildung verbessern. Lassen Sie uns also auch diesbezüglich Ihre konkreten Vorschläge und Wünsche wissen, etwa hinsichtlich der Weiterentwicklung von Trainingseinheiten bzw. Prüfungsleistungen. Wir erörtern in jedem Semester weitere Verbesserungsmöglichkeiten und freuen uns darauf, Ihre Ideen mit den unseren zu verbinden!
Werner J. Patzelt Geschäftsführender Direktor des Instituts für Politikwissenschaft
Kritik
Der Brief tritt unsere Forderungen mit Füßen und ist eine absolute Frechheit. Herr Patzelts Angaben sind grob falsch. Er behauptet „Referate und sich selbst organisierende Seminardiskussionen sind für gelingende sozialwissenschaftliche Bildung unverzichtbar, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil die zu erwerbende Fähigkeit mündlicher Darstellung komplexer Sachverhalte intensiver Übung bedarf.“, jedoch werden hauptsächlich schriftliche Referate vergeben. „Dennoch findet bereits jetzt jeder Studierende sowohl in den Vorlesungen der Basismodule als auch in mindestens einem Proseminar Platz.“ Die Vorlesung ist seit einigen Wochen nicht mehr überfüllt. Mit „Platz“ meint Werner J. hier aber offensichtlich den Liegeplatz auf einem Tisch. In Wirklichkeit habe ich es bei drei Proseminaren noch nie erlebt, dass alle Teilnehmer im Raum Stühle zur Verfügung hatten. Regelmäßig waren die Steh- bzw. Sitzplätze auf dem Fußboden zwischen dem Rücken des Dozenten und der Tür schon sehr eng. Das vierte, nichtüberfüllte Proseminar findet an einem ungünstigen Termin statt. Ich könnte es besuchen, wenn ich Politikwissenschaft ohne Kernbereich studieren würde. Zum Schluss wird noch der schwarze Peter weitergereicht: „Gerne hätten wir für das Basismodul ‚Systeme‘ einige Dozenten mehr [...] Doch die Universitätsleitung [...]“
--Timo 01:17, 6. Jan 2010 (CET)
Quelle
http://tu-dresden.de/die_tu_dresden/fakultaeten/philosophische_fakultaet/ifpw/news/stellungnahme