Anonyme Reaktion auf die VV auf den Pot81-Marktplatz - AG Meer als Teil des Protests?(8. Dezember 2009)

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AG Meer als Teil des Protests?

Moin, ich war heute brav und überpünktlich auf der Vollversammlung um den Rednern zu lauschen und mal zu "fühlen" wie andere Studenten aktuell über die Besetzung und die damit zusammenhängenden Forderungen und Themen denken. Positiv überrascht war ich davon, dass z.B. Kritik an der "Wandzeitung" unten auch seinen Platz fand. Das finde ich sehr transparent.

Ich möchte aber mal zum eigentlichen Thema kommen: Mich als Student - der geschätzte 70% der aktuellen Forderungen teilt - schreckt die Arbeit des AG Meer in diesem Zusammenhang klar von der Protestbewegung ab. Ausgehend davon, dass bei dem Redebeitrag der beiden Vertreter heute der Applaus im Vergleich zu vorher deutlich verhaltender war und in Relation am meisten Kreuze gemacht wurden, glaube ich, dass ich nicht allein damit stehe. Ich beziehe mich kurz auf den heutigen Redebeitrag:

1) Ich verstehe zwar, was man mir mit der These der Wahrheitsproduktion sagen will - aber spricht hier mal wieder die Perspektive der Geisteswissenschaftler. Ich besuche einen mathematischen Studiengang der sich nicht mit der Produktion von gesellschaftlichen Wahrheiten auseinandersetzt. Wie die Gesellschaft unsere "Produkte" verarbeitet ist eine Frage die in anderen Studiengebieten diskutiert wird. Was das angeht wird mir also ganz und gar nicht was in den Rachen gestopft, wie dort unterstellt. Außerdem möchte ich behaupten, dass man doch zumindest - im Zweifel für den Angeklagten - davon ausgehen sollte, dass angehende Akademiker ein wenig darüber reflektieren was Ihnen so vermittelt wird und nicht alles zu 100% übernehmen und unreflektiert wiederkäuen. Alles andere wäre aus meiner bescheidenen Sicht überheblich.

2) Witzigerweise habe ich genau dieses Wiederkäuen bei dem Redebeitrag vorgefunden. Man hat sich zwar gehütet, das Wort Kapitalismus in den Mund zu nehmen aber jedes mal wenn das Wort "Reproduktion" fiel konnte man förmlich schmecken, dass hier eigentlich die berühmte "Reproduktion kapitalistischer XYZ" gemeint war. Definitiv eine Begriffswelt die nicht gerade erst kürzlich erfunden wurde sondern schon seit langer Zeit "reproduziert" wird.

3) Ich fand es durchaus legitim, dass die Forderung genannt wurde, dass Marxismus gelehrt werden sollte: diesmal "ordentlich" und "nicht wie in der DDR". Es würde mich aber wundern wenn jegliche Marx-Diskussion in berührenden Studienfächern ausbliebe. Von mir aus können Inhalte Marxismus NEBEN anderen Gesellschaftstheorien/etc. gelehrt werden - wenn er das aktuell nicht wird würde ich die Forderung unterstüzten. DANN aber nur wenn auch andere Nicht-Mainstream-Theorien wie z.B. der amerikanische Libertarismus nach Nozickscher Art (weils so schön konträr ist) dann auch zum Repertoire. Zumindest von anderen Unis hört man doch, dass "linke" Denker wie Adorno, Habermas, Foucault und Konsorten in entsprechenden Fächern Teil der Lehre sind.

4) Ich hoffe es geht nicht darum dass nur die eigene "Wahrheitsproduktion" gelten soll. Für manchen ist es zwar vorstellbar aber man kann auch bei konträren Meinungen landen ohne zu dumm, nur falsch informiert oder gekauft zu sein ("herrschaftsfreier Diskurs" für alle!)

tl;dr Um mal zum eigentlichen Punkt zu kommen (ich bin etwas abgeschweift): Ich will eine Reform des Bildungswesens ABER keine Revolution gegen "das System". Das mag für einige als unvereinbar gelten aber da habe ich eben eine andere Meinung. Ich finde die Vermischung der beiden Themen schwächt die Position der Studenten weil dann schnell der Vorwurf der Fundamentalopposition kommt und einfache Krititflanken geöffnet werden. Ich will den AG Meer nicht abschaffen und habe auch nichts gegen die Leute die dort mitarbeiten aber ich hoffe inständigst, dass seine Rolle in Außenwirkung und abgeleiteten Forderungen sehr klein bleibt. --78.55.112.79 19:12, 8. Dez 2009 (CET)

Schön, dass du da warst und im großen und ganzen find ich deine kritik, positiv wie negativ, nachvollziehbar und zum teil auch berechtigt.
punkt 1) sehe ich kritisch- auch (natur)wissenschaftler_innen haben eine gesellschaftliche verantwortung. sicher ist die wissenschaftliche auseinandersetzung mit gesellschaftswissenschaftlichen themen eher sache der geisteswissenschaftler_innen, aber genauso wie ein_e wissenschaftler_in nicht frei vom system ist, in dem sie/er lebt, kann auch nicht einfach jegliche verantwortung zurückgewiesen werden. wer im 3. reich die wissenschaftlichen grundlagen zur atombombe gelegt hat, trägt auch dafür verantwortung, was diese gesellschaft da draus gemacht hat/hätte war völlig klar.
punkt 2) wir leben in einem kapitalistischen gesellschaftssystem und da die produktionsverhältnisse die grundlage der gesellschaftlichen wirklichkeit sind, lässt sich sehr vieles darauf zurückführen. auch positive sachen. es ist leider so, dass viele die mit dem begriff "kapitalistisch" hantieren, diesen oft unreflektiert anwenden und zum teil nicht wirklich verstanden haben. aber es ist auch eine tatsache, dass viele einfach in anbetracht gesellschaftlicher missstände, die sie registriert haben, als "bauchlinke" angefangen haben, ein teil bleibt auch "bauchlinks" und wirft weiterhin inflationär mit begriffen um sich, die er nicht verstanden hat. der andere teil, der sich entwickelt, für den praxis ohne theorie nicht denkbar ist, sollte endlich ohne tabuisierungen behandelt werden, da es kein ende der geschichte gibt. und bevor du menschen vorverurteilst, weil sie das wort "kapitalismus" in den mund nehmen oder paraphrasieren, solltest du dich einfach ohne berührungsängste mal näher mit ihnen unterhalten. anscheinend lässt sich ja mit dir ganz gut diskutieren.
punkt 3) bin ich deiner meinung. es sollten verschiedenste gesellschaftliche konzepte kritisch behandelt werden, kann ja jede_r teilnehmen an lehrveranstaltungen und dann darüber diskutieren. nur vorlesungen sollten möglichst um neutralität bemüht sein (was in der praxis oft schwierig ist), da hier inhalt einfach eingehämmert wird, ohne möglichkeit auf diskussion. aber generell sollten frontale lehrmethoden auf ein minimum reduziert werden.
punkt 4) richtig. das bessere argument "gewinnt". und es gibt keine absolute wahrheit, schließlich kann sich alles weiterentwickeln (und das wird es auch).
zum letzten abschnitt: hier wird es problematisch. der bologna-prozess kommt ja nicht von ungefähr. letztlich wird das studium damit enger ans wirtschaftssystem geknüpft als je zuvor. genauso die veränderungen auf ebene der hochschulgremien. man sollte sich nichts vormachen: prinzipiell war das bildungssystem in erster linie dazu da, menschen für das jeweils vorherrschende gesellschaftssystem zu bilden. alles andere wäre ja auch blödsinn, welcher staat will schon die grundlage zu seinem eigenen untergang legen? tatsache ist auch, dass das bürgerliche bildungssystem bis jetzt vermutlich das beste war, das es je gab. das heißt aber zum einen nicht, dass nichts besseres möglich ist, und zum anderen, demontiert das kapitalistische wirtschaftssystem zwangsläufig die eigenen bürgerlichen bildungsideale. klar sind smiths gedanken genauso gut gedacht wie die überzeugungen marx, aber er hat eben einiges noch nicht wissen können. der freie markt ist ein idealzustand, der sich sofort selbst stück für stück "entfreit". konkurrenz zum zwecke des geldgewinns schafft eben nicht zwangsläufig waren mit gebrauchswert (bildung zählt im kapitalismus auch als ware), sondern in erster linie gewinn, auch wenn ab und an mal ein gutes nebenprodukt abfällt. da gibt es noch viel mehr und dieser kleine exkurs reicht bei weitem nicht aus, aber ich will sagen, dass bologna und kapitalismus nicht zwei verschiedene paar schuhe, sondern zwei seiten der selben medaille sind.
jetzt ist es aber so, dass dieser protest, der völlig zugegeben, von einer kleinen minderheit getragen wird, nicht der anfang vom ende des kapitalismus sein wird, außerdem würden wir mit diesem anspruch noch weniger leute erreichen- da hast du völlig recht. die hochschulen bieten trotz ihrer systemerhaltenden funktion immer noch die größten möglichkeiten für kritische wissenschaft und diskussionen innerhalb des gesellschaftssystems, das heißt sie haben durchaus bedeutung für eine mögliche positive veränderung der gesellschaft. mit der bolognareform sollen diese möglichkeiten aber extrem reduziert werden, deshalb muss natürlich, gerade im bildungsprotest darauf das augenmerk liegen. über den tellerrand hinausschauen und zusammenhänge zu erkennen ist aber genauso wichtig. deshalb muss die ag meer unbedingt teil der strukturen des pots bleiben und natürlich auch öffentlichkeitswirksam auftreten. ob dass einfluss in die forderungen haben soll, bleibt jede_m/r selbst überlassen, die/der sich in irgendeiner weise in den forderungskatalog einbringt. aber: man sollte das maximalste fordern, um das mindeste zu erreichen;)
--94.222.130.187 22:22, 8. Dez 2009 (CET)
Ich antworte mal kurz da ich nicht mehr soviel Zeit habe
1.1 Natürlich kann man von einen Akademiker erwarten das er kritisch reflektieren kann und muss auch davon ausgehen das er sich bewußt ist was er tut. Aber eine persönliche Einsicht führt eben noch nicht dazu das man auch danach handelt, hier kommen ganz handfeste Interessen ins Spiel die oft dazu führen das Menschen gegen besseres Wissen handeln. Kleines Beispiel: als wir beim Rektor waren wollte der uns erzählen das die HRK ja nur ein privater Diskussionkreis von ein paar Interessierten ist und vergleichbar etwa mit der KSS und anderen studentischen Zusammenschlüssen; es ist aber Fakt das die HRK eine politische Macht ist und die studentischen Vereinigungen nichts zu sagen haben, das weiß auch der Rektor, er sagt es bloß nicht weil das seinen Interessen widersprechen würde.
In die philosophische Diskussion ob die Hochschule nur der Wissenproduktion im Sinne einer Warenproduktion dient kann ich mangels Wissens nicht einsteigen, aber vielleicht willst du da mit der AG Meer drüber reden.
1.2 Jedes System reproduziert sich in erster Linie selbst das ist eine Binsenweisheit, aber nichtsdestotrotz wahr und wenn man sich einige Diskurse so ansieht auch immer wieder wert das in Erinnerung zu rufen.
1.3 Was die Auseinandersetzung mit Inhalten neben den Mainstream angeht so gibt es das sicher, aber unsere Forderung hier ist das in die breite zu tragen und nicht zur Angelegenheit völlig abgehobener Experten zu machen. Ich persönlich fände es angesichts des Schweigens der Wirtschaftswissenschaften zur aktuellen Krise auch mehr als notwendig in den Wirtschaftswissenschaften wieder andere Ansätze zu verfolgen.
1.4 Bitte erwähne nicht nochmal den herrschaftsfreien Diskurs um den zu bekommen brauchen wir wirklich eine Revolution, denn herrschaftsfrei geht eben nur herrschaftsfrei:-)
--Martin 11:41, 9. Dez 2009 (CET)