Über den Sinn eines Studiums im Kapitalismus

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Über den Sinn eines Studiums im Kapitalismus - Nicht fürs Leben, damit wir funktionieren lernen wir -


Die Warenform, also die gesellschaftliche Bestimmung von Dingen, Waren zu sein, ist in der modernen bürgerlichen Gesellschaft zur allgemeinen Form geworden, dass der Kapitalismus die Arbeitskraft zu einer Ware gemacht hat, über die ihre Träger frei verfügen können, frei von persönlichen Abhängigkeitsverhältnissen, frei von allen Zwängen außer dem einen, Geld verdienen zu müssen. [...]

Das Bedürfnis, über möglichst viel Geld zu verfügen, wird daher zum ersten, für alle Gesellschaftsmitglieder gleichen, abstrakten „Eigeninteresse“.

Claus Peter Ortlieb

Jedes Jahr zweimal, zum Semesterwechsel, durchlebt die universitäre Maschine einen Ölwechsel. Sie öffnet ihre Tore, um einen Haufen frischgebackener Juristinnen, Wirtschaftswissenschaftler, Biologinnen oder Mediziner auf den Markt zu werfen - fertige Produkte also - und um gleichzeitig einen neuen Haufen Rohstoff aufzunehmen, den es in den nächsten Jahren zu verarbeiten gilt: Erstis. Und damit ist ihr ganzer Sinn auch schon erfasst. Worum es geht, ist die Zurichtung des für den großen gesellschaftlichen Zweck des Geldmachens erst mal recht unbrauchbaren Wesens Mensch zu einem brauchbaren, das heißt zu einem, das Fähigkeiten erlernt hat, die es verkaufen kann.

Das Ideal von der Bildung als Selbstzweck

Darin unterscheidet sich das Studium zunächst in nichts von einer stinknormalen Ausbildung, außer dass ein Jurist in der Regel um einiges besser bezahlt wird als eine Dreherin. Der eigentliche Unterschied ist die ideologische Aufladung das Ganzen, an der die Linke nicht ganz unschuldig ist. Seit Wilhelm von Humboldt umweht die Universität die Aura des reinsten Humanismus. Gerade in den Geisteswissenschaften herrscht immer noch das Bild des Studenten vor, der zwischen endlosen Bücherregalen in riesigen Bibliotheken sitzt und dort reine Bildung atmet. All dies soll dann nach Vorstellung linksliberaler Bildungsenthusiasten noch mit einer guten Portion „sozialen Lernens“ aufgefüllt werden und am Ende selbstverständlich nur dem oder der Studierenden selbst zu Gute kommen, „weil es um Menschen geht“ . Weil es aber nicht um Menschen geht, sondern um Geld und die Vermehrung von Geld, werde das Studium „mehr und mehr an den Interessen des Kapitals ausgerichtet“, wie beim letzten Unistreik ‚97 entsetzt von der studentischen Halblinken konstatiert wurde. Nicht profitable Fachbereiche würden dichtgemacht, immer mehr Forschungsaufträge der Industrie bearbeitet und gar nicht mehr auf soziale Belange geachtet. Mit dem humboldtschen Bildungsideal habe das nichts mehr zu tun.

Die Realität von der Bildung als Kapitalzweck

Das ist nun wieder richtig, nur werden hier die bürgerlichen (Bildungs-)Ideale gegen die bürgerliche Wirklichkeit eingefordert. Und die waren schon immer nur Ideologie und Sinnstiftung für die Universität, die als staatliche Anstalt genau wie alle anderen staatlichen Anstalten in erster Linie eins zu sein hat: nützlich fürs Gesamtkapital. Die Erledigung von Aufgaben, aus denen sich kein Geld ziehen lässt, die für eine reibungslose kapitalistische Wirtschaft aber unersetzlich sind, hat der bürgerliche Staat in seiner Rolle als ideeller Gesamtkapitalist zu erfüllen. Also baut er Straßen, stellt Armeen und Polizei der Nation zur Verfügung, organisiert das Gesundheitswesen und fängt die Opfer der kapitalistischen Vergesellschaftung in Landeskrankenhäusern und Gefängnissen auf. Und er stellt mit Grundschulen, Hauptschulen, Gymnasien und Universitäten ein ausdifferenziertes (Aus-)Bildungssystem zur Verfügung, das der Wirtschaft im Idealfall genau die Sorten Arbeitskraft in ausreichender Menge zur Verfügung stellt, die gerade gebraucht werden. Was am Ende dieser Ausbildung herauskommt, kann schwerlich der autarke, selbständig denkende und einfach nur "gebildete" Mensch sein, den sich einst Humboldt vorgestellt hat, und der heute noch den Linksliberalen vorschwebt. Der Sinn - auch universitärer - Ausbildung ist das Produkt. Entscheidend ist nicht der Mensch, sondern die Verwertbarkeit seiner an der Uni erworbenen Fähigkeiten, sei es in der "freien Wirtschaft" oder in staatlichen Stellen, wo der fertig gewordene Student zum Beispiel als Lehrer nun selbst die Aufgabe der Zurichtung von Menschenmaterial übernimmt.

Welcome to the machine!

Hier nun aber Zeter und Mordio respektive "Herrschaft und Unterdrückung" zu schreien, wäre unangebracht, zumindest arg verkürzt. Denn der Zweck, den der Staat mit der Finanzierung eines Hochschulstudiums verbindet, deckt sich mit dem Sinn, den die Studierenden in ihrer Ausbildung selbst sehen. Haben im Zuge der 68er-Revolte und ihrer Nachwehen zahlreiche Studis unter dem funktionalen Charakter des Studiums gelitten, ist es vielen heute nicht funktional genug. Dies den Leuten übel zu nehmen, wäre ungerecht: Bis man erst mal Magister ist oder ein Diplom hat, können schon mal fünf, sechs Jahre ins Land ziehen, und die sind in der verschärften Konkurrenz des postfordistischen Zeitalters verlorene Zeit. Während der Vollbeschäftigung in den 60er- und 70er-Jahren konnte man sich ein wenig "verbummelte" Zeit leisten und das Studium tatsächlich zu sozialem Lernen und "reiner Bildung" zweckentfremden. Heute ist alles, was über die rein fachliche Ausbildung hinausgeht, vor dem Hintergrund seiner Unverwertbarkeit überflüssiger Schnickschnack. Möglichst schnell einen guten Startplatz im Kampf aller gegen alle zu bekommen ist somit das systemimmanente Eigeninteresse der Studierenden. Der soziale Hintergrund von Ellenbogenmentalität und Karrierismus ist die Angst, am Markt zu versagen und damit seiner bürgerlichen Existenz beraubt zu sein, nicht Hedonismus, wie viele konservative Moralwächter beklagen.

Für Genuß, nach dem Hedonisten süchtig sind, gibt es keinen Platz mehr in der Yuppiewelt.Nicht nur von der "Anbieterseite", dem Staat, auch von den nachfragenden Studierenden aus wird daher heute eine Rationalisierung des Studiums vorangetrieben. Tatsächlich gibt es mittlerweile private Hochschulen, deren Angebot nicht nur dem Inhalt, sondern auch der Form nach nichts weiter mehr ist als schnöde Fließbandausbildung. An den staatlichen Unis geht der Trend aus Gründen der "Wettbewerbsfähigkeit" in die gleiche Richtung. Der Staat spart Studiengänge ein, die mittlerweile als überflüssig erachtet werden und will die Studis durch Gebühren zu einem schnelleren, effektiveren Studium zwingen. Diese, weit davon entfernt, langsamer und ineffektiver sein zu wollen, meinen, ohne Gebühren und mit mehr Bafög brauchten sie nebenbei nicht zu arbeiten, wären schneller fertig und stünden früher zum Selbstverkauf zur Verfügung.

Genau das ist auch Thema des Streiks 1997 gewesen, der von den Medien als neuer Widerstand der Studierenden gegen die Regierung begeistert aufgenommen worden war. Er war aber keine Revolte gegen das System, oder auch nur gegen das Bildungswesen. Er war Protest, weil der Staat mit seinen Sparprogrammen die eigene Effektivität und Systemtauglichkeit beeinträchtigte.

Also Protest gegen die Fehler des Staates im Sinne der Nation. Eine emanzipative Komponente, wie bei den Unistreiks der 70er und 80er Jahre, hatte das Ganze zumindest in seiner Generalausrichtung nicht mehr.

Rage against the machine!

Man muss auf dieses erbärmliche Spiel keine Lust haben. Wenn es einem sinnlos vorkommt, sein Leben einzig an dem Zweck zu orientieren, sich möglichst profitabel verkaufen zu können, muss man es sogar hassen. Aber man muss es mitspielen, denn die kapitalistische Logik, die nur den einen Zweck kennt, durch die Vernutzung menschlicher Arbeitskraft aus Geld mehr Geld zu machen, lässt nur den Verkauf dieser Arbeitskraft als Mittel zum Überleben zu. Für Studierende ist dieser Zwang aber zumindest teilweise gebrochen: Zwar schiebt sich auch für diese das Geld zwischen sie und ihre Bedürfnisse, aber es muss - vorerst - noch nicht komplett selbst "verdient" werden. Eltern oder Staat geben einen Zuschuss und wer Glück hat, kommt ganz ohne eigenen Beitrag zur finanziellen Reproduktion davon. Die Studierenden befinden sich damit außerhalb der direkten Konkurrenz. Die Konkurrenz um den besten Abschluss und das kürzeste Studium ist nur vermittelt. Die Tatsache, dass man gezwungen ist, diesen Zustand möglichst schnell hinter sich zu bringen, weil man so immer irgendwem "auf der Tasche liegt" und vor allem Semester für Semester seine Chancen für den "echten" Konkurrenzkampf schmälert, ändert daran erst mal nichts: Es bleibt den Studierenden "in der Hölle noch die Luft zum Atmen" (Adorno).Es bleibt ihnen - im Gegensatz zu denen, die schon Arbeiterinnen oder Kassierer sind - die Möglichkeit, die systemischen Scheuklappen beiseite zu legen und zu versuchen, dem Charakter dieser "Hölle" auf die Spur zu kommen. Statt sich mitten rein zu stürzen in das Getümmel um Scheine, Abschlüsse und Prüfungen, bleibt die Chance, darauf und auf die gesellschaftlichen Zustände, die dazu führen, zu reflektieren und sie zu kritisieren. Je klarer wird, dass es im Falschen der bürgerlichen Realität kein richtiges Leben geben kann - egal ob es nach dem Abschluss zum Mercedes reichen wird oder nur zum Fahrrad -, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, die Uni eben nicht als kapitalfunktionaler Fachidiot zu verlassen, sondern als Person, die sich "ums Leben betrogen" fühlt und es sich zurückholen will.

[a:ka]