AG Presse/Briefe/2009 11 12 Kokenge
Sehr geehrter Prof. Kokenge,
wir haben Ihr Interesse mit uns ins Gespräch zu kommen, wie schon in der letzten Mail formuliert, zur Kenntnis genommen und sind gerne bereit, mit Ihnen in den Dialog zu treten.
Allerdings müssen wir wiederholt darauf hinweisen, dass aufgrund unserer Organisationsstruktur auch in Zukunft keine Person zur Verfügung stehen wird, welche die juristische Verantwortung für Besetzung des POT81 übernimmt. Wir sind gerne bereit, eine Gruppe von Student_innen zu entsenden, welche sich mit Ihnen über die von uns im Folgenden aufgestellten Forderungen austauschen. Es besteht in diesen Gesprächen natürlich auch die Möglichkeit, mit Ihnen über die Zukunft unseres Protestes und die Besetzung des POT81 zu diskutieren, mit dem Ziel, eine gemeinsame Linie zu finden. Jedoch bestehen wir darauf, dass die Besetzung des POT81 und ein fester Termin für eine Räumung unsererseits nicht verhandelbar sind.
Die internationalen und deutschlandweiten Proteste stehen erst am Anfang, wie Sie sicherlich den Presseberichten entnehmen konnten. In diesem Zusammenhang möchten wir Ihnen für Ihre heutige Stellungnahme im MDR danken, welche deutlich gezeigt hat, dass zwischen unseren und Ihren Positionen viele Schnittmengen existieren.
Wir teilen Ihnen heute in dieser Mail die erste Arbeitsgrundlage unserer Forderungen mit. Diese werden in den nächsten Tagen konkretisiert und Lösungsansätze dafür ausgearbeitet. Diese Forderungen sind nach unserer Einschätzung in die Kompetenzbereiche des Rektorats, der Länder und des Bundes unterteilt, um eine sinnvollen und konstruktiven Diskurs mit ihnen zu ermöglichen.
Forderungen an das Rektorat:
- Verbindliche Akkreditierung von Studiengängen, bevor in diese immatrikuliert wird.
- Akkreditierung auch von Studiengängen die abgeschafft werden – um die erworbenen Abschlüsse zu stärken.
- Aufklärung der Studenten über das Akkreditierungswesen, Ziele, Verfahren und Mitwirkungsmöglichkeiten.
- Die Universitäten kulturell beleben.
- Wir fordern Räumlichkeiten an der Universität, in denen Studenten die Möglichkeit haben, selbstbestimmt verwaltet hochschulpolitische, kulturelle und soziale Arbeit zu betreiben.
- Überfüllte Hörsäle, Massenabfertigung und schlechte Betreuungsverhältnisse durch entsprechende Lehrangebote vermeiden.
- Die Möglichkeit, frei gewählte Studieninhalte aus anderen Fakultäten in den eigenen Studiengang zu integrieren.
- Das heißt Abbau bürokratischer Hemmnisse.
- Aufklärung der Studierenden über Rechte und Pflichten
- Aufklärung über studentische Mitbestimmung an der Hochschule
- leicht verständliche Prüfungsordnungen ("Entschlackung" der Prüfungsordnungen)
- Broschüren der Universitätsleitung
- Teilzeitstudierbarkeit in allen Studiengängen sicherstellen.
- Möglichkeit für Gasthörer Prüfungen abzulegen.
- Zulassungsbeschränkungen abschaffen.
- Erhaltung der Professur Religionsphilosophie, auch wenn Prof. Dr. Dr. Gerl-Falkovitz in Rente geht. Die Lehrämter brauchen diese Professur, da Religionen im Lehrplan verbindlich sind. Dieser Punkt wurde mehrfach von Lehramtsstudenten als zentrales Problem formuliert.
- Richtlinien zum Klimaschutz für die Institute und verstärkte, interdisziplinäre Forschungsbemühungen zum Thema.
- Die Waffenindustrie und Geheimdienste nicht in die Universität bzw. auf den Campus einladen.
- Verbesserung der Verkehrssituation auf dem Campus.
- Möglichkeit einer zeitnahen Nachprüfung schaffen.
- Prüfungsabmeldungen bis drei Tage vorher ermöglichen.
Forderungen an das Land Sachsen:
- Studiengebühren verhindern
- Im Koalitionsvertrag von CDU/FDP steht, dass Studiengebühren nicht gesetzlich festgeschrieben werden. Im gleichen Absatz steht, dass Langzeitstudiengebühren ermöglicht werden sollen. Im Satz drei steht, dass die Autonomie der Hochschulen gestärkt werden soll.
- Im Klartext heißt das, dass die Erhebung von Studiengebühren den Hochschulen überlassen wird und das Studierende, die über der Regelstudienzeit liegen, Gebühren bezahlen sollen.
- In kaum einem Studiengang deckt sich die Durchschnittsstudiendauer mit der Regelstudienzeit.
- Sollten die Rahmenbedingungen so gesetzt werden, wird mindestens jeder zweite Studierende Gebühren zahlen müssen. Davon abgesehen, ist diese Vorgehensweise unsozial: Vor allem bei Studierenden mit Kind und Studierenden die arbeiten – Studierende die finanziell bereits schlechter stehen – tritt eine Überschreitung der Regelstudienzeit häufiger auf.
- Deshalb ist eine klare Stellungsnahme notwendig, wie die Rahmenbedingungen aussehen werden.
- Studiendauer für den Bachelor flexibel gestalten.
- Die Regelstudienzeit eines Bachelorstudienganges ist nach den Beschlüssen der Bolognareform nicht auf 6 Semester beschränkt. Deshalb muss es in Studiengängen, in denen 6 Semester nicht ausreichen, zur Voraussetzung werden, die Regelstudienzeit auf 7, 8 oder 9 Semester festzulegen.
- Akkreditierung von Studiengängen bevor Immatrikuliert wird.
- Studierende müssen die Gewissheit haben, dass ein angefangenes Studium auch abgeschlossen werden kann.
- Der Abschluss Bachelor wird in Deutschland noch immer zögerlich von der Wirtschaft anerkannt. Eine sichere Akkreditierung stärkt den Abschluss.
- Als Alternative ist - nach dem Vorbild der Fakultät Elektrotechnik - zu erwägen, das Diplom in den Ingenieurs- und Naturwissenschaften als parallelen Abschluss zu erhalten.
- Die Lehrinhalte sind identisch.
- Das deutsche Diplom ist ein weltweit anerkannter Abschluss.
- Beim Univsersitätswechsel findet auch bei einheitlichem Bachelor ein Anerkennungsverfahren für bereits abgelegte Prüfungsleistungen statt.
- Staatsexamen für Lehrämter, Medizin und Jura müssen ebenfalls erhalten werden.
- Teilzeitstudierbarkeit ermöglichen, denn vielen Studierenden ist ein Vollzeitstudium nicht oder nur unter hoher Belastung möglich. Dazu zählen:
- Studierende mit Kind
- chronisch kranke und behinderte Studierende
- politisch engagierte Studierende
- kulturell engagierte Studierende
- sozial engagierte Studierende
- arbeitende Studierende
- Ein erster Schritt: Gasthörern ermöglichen, Prüfungen abzulegen.
- Keine Langzeitstudiengebühren einführen.
- Vereinfachte Zulassung von Menschen ohne Hochschulreife.
- Brückenkurse
- Raum für freiwillig belegte Kurse ermöglichen.
- Studentische Mitbestimmung massiv verbessen!
- Nach neuem Hochschulgesetz sitzen im (erweiterten) Senat max. 20% Studierende. Als größte Gruppe an der Hochschule ist das nicht tragbar.
- Dem Hochschulrat ist als zu kleinem und zu unifremdem Gremium Kompetenzen zu entziehen.
- Finanzierung der Hochschule verbessern.
- Das Betreuungsverhältnis verbessern.
- Jedem immatrikulierten Studenten einen Sitzplatz in seinen Veranstaltungen zusichern.
Forderungen an den Bund:
- Master für alle, statt nur für 2/3 der Studierenden.
- Flexiblere Bachelorsemesterzeiten.
- Je nach Bedarf auch auf vier oder mehr Jahre ausweiten. Zum Beispiel benötigen Geisteswissenschaften aufgrund von Lese- und Diskussionsintensivität viel Zeit.
- Lernendenentgeld - wie in Finnland -, mindestens aber eine Erleichterung für den Zugang zu BAföG sowie höhere Sätze - wie auch Bildungsministerin Schavan forderte - nicht nur für Stipendiaten, wie im Koalitonsvertrag vorgesehen.
- Förderung für Menschen aus sozial benachteiligten Milieus, nicht nur den Ausbau der Stipendien, der vor allem besser gestellte Milieus erreicht.
- Flexiblere Anrechnung für Creditpoints aus einem Auslandsstudium.
- Keine Studiengebühren, denn diese bedeuten zweifellos eine soziale Selektion.
- Finanzielle Unterstützung der Universitäten durch den Bund. Hierzu bedarf es einer Überarbeitung der Föderalismusreform. Investitionen in Bildung sind Investitionen in die Zukunft!
- Garantie der Freiheit von Forschung und Lehre, zum Beispiel muss die Uni von Drittmitteln unabhängig bleiben.
- Teilzeitstudium für Mütter und Väter.
- Bildung als Selbstzweck erhalten, nicht nur als Ausbildung für die Wirtschaft und nicht nur die Ausrichtung auf Leistung.
- Abschaffung von Zivil- und Bundeswehrdienst, um die Bildungsbiographie nicht zu unterbrechen.
Mit freundlichen Grüßen
Die Besetzerinnen und Besetzer des POT81