Evaluation der Lehre

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Zusammenfassung im Forderungskatalog

Situation

Unter dem Stichpunkt "Qualitätssicherung" wird durch das Sächsische Kompetenzzentrum für Bildungs- und Hochschulplanung (KfBH) an der TU Dresden seit 1995 die Evaluation der Lehre in Form von anonymer Datenerhebung mittels Evaluationsbögen durchgeführt. Seit 1998 gibt es ein weitesgehend einheitliches Befragungssystem, das maschinenlesbare Fragebögen nutzt. "Anhand des Standardisierten Fragebogens können die Studierenden sowohl die Inhalte und Präsentation der Lehrveranstaltung bewerten als auch ihre Studienmotivation und im geringen Umfang die Rahmenbedingungen beurteilen." heisst es dazu auf der Seite des KfBH.

Dabei ist die durch diese Evaluationsbögen angestrebte "Qualitätssicherung" der Lehrqualität eher ab- als zuträglich. Die Probleme der Evaluation sind dabei je nach Studiengang unterschieldich und müssen auch "individuell" bezüglich der einzelnen Studiengänge betrachtet werden.

Die allgemeinen Probleme sind:

  • Die nur scheinbare Äußerung der Kritik über die Evaluationsbögen erstickt die ernstzunehmende Kritik durch die Studierenden
  • Hinderung der Dozenten und der Studierenden an der duch offene Zusammenarbeit entstehenden Verbesserung der Lehre

Die Evaluation der Lehre vermittelt den Studierenden das Gefühl, über die Evaluation einen Einfluss auf die Lehre nehmen zu können. Tatsächlich ist das nicht der Fall und die Ergebnisse der Lehrevaluation führen nicht zu einem Diskurs mit dem Lehrenden oder zu seiner Umschulung, um die Qualität der Lehre zu verbessern. Nach der Erhebung der Daten werden diese lediglich statistisch ausgewertet. Die Evaluationsergebnisse haben keine weiteren Auswirkungen. Dennoch werden durch die Evaluation der Lehre die Studierenden in den Glauben versetzt, dass sie zu Veränderungen des Lehrstils der betreffenden Lehrenden viel beigetragen haben. Damit werden die Studierenden jedoch daran gehindert, ihre Kritik am Lehrstil der Dozenten wirkungsvoll zur Sprche zu bringen und in einem (nicht anonymen) offenen Diskurs mit den Lehrenden an einer Verbesserung der Lehre zusammenzuarbeiten.

  • Lehrende und Studierende werden gegeneinander ausgespielt

Ein weiteres Problem besteht darin, dass durch die Anonymität der Datenerhebung die unverhältnismäßig negative Bewertung ("Rache") sowie insbesondere vereinzelte unfreundliche Kommentare nicht verhindert werden können. Damit werden Studierende und Lehrende gegeneinander ausgespielt. Die Wahrnehmung der Dozenten durch die Studierenden wird von partnerschaftlicher Wahrnehmung ("Wir arbeiten gemeinsam an einem Ziel") in eine "tyrannische" Richtung ("Der Lehrende möchte uns erniedrigen und tyrannisieren") verschoben, weil die Lehrenden sich bei den Studierenden über die unverhältnismäßige negative Bewertung und unfreundliche Kommentare im besten Fall beschweren (im schlimmsten Fall reagieren sie auf diese unfairen negativen Bewertungen selbst negativ).

  • die Evaluation der Lehre in der heutigen Form untergräbt den Mut zur offenen Kritik und Diskussion

Die anonyme Datenerhebung fördert nicht, sondern untergräbt den Mut, sich Autoritäten offen, kritisch, aber auch diskussionsbereit entgegenzustellen. Eine offene Kritik an und Diskussionsbereitschaft mit Lehrenden findet in der Praxis nicht mehr statt (da ja alles anonym über die Evaluation abgewickelt werden kann).

  • wichtige Qualifikationen des Lehrenden werden bei der Evaluation nicht berücksichtigt

In einigen Fällen ist die anonyme Kritik an Qualifikationen des Lehrenden zu befürworten, nämlich dann, wenn sich ein Dozent frauen- oder ausländerfeindlich oder feindlich anderen Minderheiten gegenüber äußert oder verhält. In solchen Fällen ist das offene Vorgehen gegen die Lehrenden häufig nicht möglich, weil eine offene Kritik oder Beschwerde für die betreffenden Studierenden negative Folgen durch Einflußnahme dieses Dozenten nach sich ziehen kann. Natürlich kann nicht aufgrund *einer* anonymen Beschwerde gegen einen Dozenten vorgegangen werden, aber viele solcher Beschwerden könnten den StuRa und den FSR des Studienganges frühzeitig alarmieren. Solche Qualifikationen des Lehrenden werden bislang in der Evaluation der Lehre überhaupt nicht berücksichtigt.

Speziell im Fachbereich Mathematik:

  • kaum tatsächliche Aussage über die Qualität der Lehre, sondern über die Belastung der Studierenden (sollte ich als Beleg einige Dozenten nach ihren Evaluationsgrafiken fragen und sie hier einfügen?)
  • die Evaluation berücksichtigt die Erfahrungswerte und Fachkenntnisse der evaluierenden Studierenden nicht

Speziell im Fachbereich Mathematik der Fakultät Mathematik und Naturwissenschaften (und vermutlich ebenso in anderen naturwiss. Fachrichtungen) gibt es viele Probleme mit der Lehrevaluation. Dort hat man das "Umstellungsproblem" - die Studierenden, die in den ersten Semestern eine starke Umstellung von der Schule zur Universität erleben (die sich insbesondere in diesem Fachbereich als ein großer Schritt erweist), sind frustriert und bewerten die Lehrenden in den ersten Lehrjahren besonders negativ - davon sind alle Lehrenden in gleichem Ausmaß und in allen Punkten der Evaluation betroffen. Mit steigender Semesterzahl der Studierenden steigt das durchschnittliche Evaluationsergebnis eines Lehrenden in allen Punkten. Das hat folgende Auswirkungen: hält ein Lehrender z.B. die Veranstaltungen Analysis I bis III innerhalb von drei Semestern, so steigt innerhalb der drei Semester sein Evaluationsergebnis in allen Punkten von durchschnittlich schlecht auf durchschnittlich gut. Fängt der Lehrende die Analysis-Vorlesung für einen neuen Jahrgang erneut mit Analysis I an, so fällt sein Evaluationsergebnis in allen Punkten erneut auf schlecht. Das kann nicht daran liegen, dass der Lehrende "auf einmal" sich wieder durch schlechte Lehre auszeichnet - der "Qualitätssprung" nach unten in der Lehre des Dozenten muss eine andere Ursache haben. Diese Datenerhebungen sagen also kaum etwas über die Qualität der Lehre des betreffenden Lehrenden aus, sondern über den Befindlichkeitszustand der Studierenden und den Leistungsdruck, der auf den Studierenden lastet. Außerdem besitzen die Studierenden in den ersten Semestern kaum Vergleichsmöglichkeit und nicht ausreichend fachliche Kenntnis, um die Kompetenz und Wissen der Lehrenden zu beurteilen.

Forderungen

  • Evaluation erst ab dem dritten Semester in "umstellungs"-sensiblen Studiengängen (z.B. Studiengang Mathematik); Stattdessen eine leichtere Umstellung durch zusätzliche Hilfsangebote ("Wie lerne ich das Lernen?") fördern
  • Abschaffnung der anonymen Evaluation in der heutigen Form
  • wenn anonymisierter Feedback, dann in Form einer konstruktiven Kritik: jede/r kann 1-3 Verbesserungsvorschläge und 1-3 positive Äußerungen zu der Lehrveranstaltung bzw. zum Lehrstil geben (Zur Auswertung: das Einreichen des Feedbacks kann in gedruckter Form erscheinen)
  • Einrichten einer Möglichkeit, sich anonym über Lehrende zu beschweren, wenn sie frauen-, ausländer- oder anderen Minderheiten gegenüber feindlich agieren oder sich äußern
  • Eröffnen einer Möglichkeit für Studierende, sich kritisch und offen in einer Diskussion mit den Lehrenden um die Verbesserung der Lehre zu bemühen, zum Beispiel:
    • Unterstützung und Einführung eines "Meet your Prof"-Diskussionsstammtisches: Die Erfindung des FSR Physik "Meet your Prof" bietet Studierenden sich mehrmals im Semester am Diskussionstisch zu treffen und dazu einen Professor einzuladen. In lockrer Atmosphäre können Studienanfänger Fragen zu Lebenseinstellungen, zur Lehre, zu Interessen dieses Professors stellen. Dabei gewinnen die Lehrenden und Studierenden ein gegenseitiges Vertrauen, das beide Seiten für konstruktive Kritik sehr empfänglich macht und sogar der Anonymisierung an der Universität effektiv entgegenwirkt.
  • Die Lehre effektiv verbessern, indem Lehrenden mehr Zeit für die Lehre zur Verfügung gestellt wird: Die Lehrenden von dem Druck entlasten, ihre Forschungen drittmittel- und quantitätsorierntiert (statt qualitätsorientiert) auszurichten.

Begründung

  • Die Lehre ist (neben der Forschung) die wichtigste Aufgabe an einer Universität und darf (auch zugunsten der Drittmittleinnahmen) nicht vernachlässigt werden.
  • Die Kritik durch die Studierenden an der Lehre ist ernst zu nehmen und muss bei der Verbesserung der Lehre effektiv (und nicht nur scheinbar) einbezogen werden.
  • Die Interessen der Lehrenden und der Studierenden sind nicht entgegengesetzt, sondern größtenteils identsich. Deswegen muss ein partnerschaftlicher und offener Umgang miteinander und insbesondere der Dialog zwischen Lehrenden und Studierenden geflegt und gefördert werden.
  • Das Ausspielen der Lehrenden und der Studierenden gegeneinander ist hinderlich für den Hochschulbetrieb, schädlich für den Ruf der Hochschule und ist der Lehre und dem Lernen abträglich.
  • Der Mut, offen und diskursbereit Kritik an Autoritäten zu üben, ist eine "Schlüsselqualifikation" für alle Studierenden.
  • Die Fähigkeit, sich offen und diskursbereit mit der Kritik von Studierenden auseinanderzusetzen, ist eine "Schlüsselqualifikation" für jeden Dozenten.