Erklärung des Fachbereichs „Sozial- und Gesundheitswesen“ an der Fachhochschule Ludwigshafen am Rhein – verabschiedet durch den Fachbereichsrat bei der Sitzung am 16. Dezember 2009

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Bildungsstreik

Erklärung des Fachbereichs „Sozial- und Gesundheitswesen“ an der Fachhochschule Ludwigshafen am Rhein – verabschiedet durch den Fachbereichsrat bei der Sitzung am 16. Dezember 2009

Das Jahr 2009 war geprägt von Protesten seitens Studierender, Schülerinnen und Schüler und Lehrender, welcher schwerwiegende Probleme des Bildungs- und Hochschulwesens thematisierte. Diese Probleme wurzeln in politisch geduldeten oder auch herbeigeführten Entwicklungen, die sich nicht nur in der Reform des Studiums im Rahmen des Bologna-Prozess widerspiegeln. Vielmehr ist die derzeitige Situation von Tendenzen einer grundsätzlichen Infragestellung des öffentlichen Charakters von Bildung und Hochschule, einer zunehmenden Kommodifizierung von Forschung und Lehre, der schleichenden Entdemoktratisierung der Hochschulselbstverwaltung sowie der Forcierung sozialer Selektivität und Ungleichheit hinsichtlich der Möglichkeit eines erfolgreichen Studiums geprägt.

Der Fachbereich „Sozial- und Gesundheitswesen“ an der Fachhochschule Ludwigshafen am Rhein steht diesen Entwicklungen im Hochschulwesen seit vielen Jahren kritisch gegenüber und hat sich hierzu in der Vergangenheit auch öffentlich positioniert1. Es wurde kontinuierlich versucht, diesbezüglich von Außen herangetragene strukturelle Vorgaben für die Neu-Organisation von Forschung und Lehre zurückzuweisen und selbst zu gestaltende Freiräume an der Hochschule so weit wie möglich zu erhalten.

In diesem Zusammenhang begrüßt der Fachbereich den deutlich artikulierten Protest der Studierenden, Schülerinnen und Schüler und erklärt hiermit öffentlich seine Solidarität und Unterstützung zum Bildungsstreik. Gleichzeitig sollen die zentralen Inhalte der studentischen Kritik in folgenden Punkten bestärkt werden:

Bologna: Verschulung und Elitenbildung Die Versuche die Studienzeit im Zuge der Einführung von Bachelor-Studiengängen für die meisten Studierenden deutlich zu senken, führt zu enormen Prüfungsbelastungen, einer zunehmenden Verschulung des Studiums sowie der Einschränkung von Möglichkeiten selbstbestimmter Lernprozesse. Zugleich befördert die weitgehende Beschränkung des Zugangs zum Masterstudium Prozesse der Elitenbildung und steht in einem deutlichen Widerspruch zur gleichzeitig propagierten politischen Forderung nach einer Durchlässigkeit des Bildungssystems. Für den weitaus größten Teil wird das Studium auf eine möglichst effiziente Zurichtung für den Arbeitsmarkt beschränkt. Über den Faktor beruflicher Ausbildung hinausreichende Bildungsziele werden demgegenüber weitgehend suspendiert.

Schlechte finanzielle und personelle Ausstattung der Hochschulen Verschärft wird diese Entwicklung durch die generell schlechte Ausstattung der Hochschulen mit personellen, finanziellen und infrastrukturellen Ressourcen und die daraus resultierende hohe Arbeitsbelastung aller an der Hochschule beschäftigten Statusgruppen. Faktische Lohnkürzung im öffentlichen Dienst und vielfach prekär bleibende Arbeitsverhältnisse tragen auf ihre Weise zur Verschärfung der Situation bei. Seitens der Politik wurde den gestiegenen Anforderungen eines kontinuierlichen Anstiegs der Studierendenzahlen sowie zusätzlicher Aufgaben (Akkreditierung, Evaluation) trotz entsprechender Absichtserklärungen bislang nicht ausreichend Rechnung getragen.

Prekäre Studienbedingungen Darüber hinaus sind es nicht nur die in manchen Bundesländern eingeführten Studiengebühren, die dazu beitragen, dass viele Studierende dazu gezwungen sind, parallel zu ihrem Studium in hohem Umfang einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Der stumme Zwang zur Sicherung des eigenen Lebensunterhalts, der für viele Studierende das Vollzeitstudium zur Nebentätigkeit werden lässt, muss auch darauf zurückgeführt werden, dass studiumsbezogene Sozialleistungen wie das BAföG ihrer Höhe nach unzureichend gestaltet und zugleich mit altersbedingten wie auch sozialen Zugangsbarrieren versehen sind, die weite Teile der Studierendenschaft ausschließen. Darüber hinaus muss zur Kenntnis genommen werden, dass derzeitige Stipendien zur Begabtenförderung aufgrund deren Knappheit und primären Orientierung auf persönliche schulische Leistung nahezu ausschließlich Akademikerkindern zu Gute kommen. Ob ein Studium somit frei von finanziellen Sorgen bleibt, darüber entscheidet weiterhin weitgehend das Elternhaus.

Forderungen Angesichts dieser Entwicklung erscheint es geradezu verführerisch, den Streik der Studierenden für eine Forderung nach weiteren Reduktionen der Studieninhalte zu missbrauchen. Während an dieser Stelle die mediale Aufmerksamkeit auf überfrachtete Lehrinhalte und Fehler der Hochschulen bei der Umsetzung der Bolognareformen gelenkt wird, fordern wir das Augenmerk primär auf die der derzeitigen Bildungs- und Hochschulpolitik inhärenten Fehlentwicklungen und damit auf die Rahmenbedingungen zu lenken, denen sowohl Studierende wie auch die an Hochschulen Tätigen ausgesetzt sind. Diese Politik lässt Chancengleichheit zu einer reinen Illusion werden und verringert trotz anderer Verlautbarungen faktisch für Viele die Möglichkeit eines erfolgreichen Studiums. Die Einführung von Teilzeitstudiengängen kann an dieser Stelle keine grundsätzliche, sondern maximal eine Teillösung darstellen. Vielmehr geht es an dieser Stelle um grundsätzliche Fragen einer gerechteren Verteilung gesellschaftlicher Güter. Gleichsam ist entgegen den dominanten Forderungen nach einer weiteren Privatisierung und Kommerzialisierung des Bildungs- und Hochschulsektors deutlich zu betonen, dass Bildung und Wissenschaft eine von ihrer wirtschaftlichen Verwertung unabhängige gesellschaftliche Bedeutung zur Förderung kritischen Denkens und damit zur Entwicklung eines demokratischen Zusammenlebens besitzen. Hochschulen dürfen somit nicht wie Unternehmen geführt werden, sondern stellen öffentliche und damit demokratisch zu organisierende Orte dar.

Insofern bedarf es:

eines allgemein unbegrenzten Zugangs zu Masterstudiengängen einer über das derzeitige Maß deutlich hinausgehende Ausstattung der Hochschulen mit Personal, finanziellen Mitteln und Räumen einer umfassenden sozialstaatlichen Absicherung des Lebensunterhalts während des Studiums eines Stopps der Entdemokratisierung sowie eines dem entgegen gesetzten Ausbaus demokratischer Organisation der Hochschulselbstverwaltung


Ludwigshafen am Rhein, 16.12.2009